Die Gradeser Altstadt im goldenen Abendlicht. Gut gelaunte Menschen schlendern in aller Gemütlichkeit durch die Gassen, schlecken ein Eis oder sehen sich an den bunten Verlockungen der Schaufenster satt. Im fröhlichen Stimmengewirr aus Italienisch und Hochdeutsch gibt ein Dialekt auffällig den Ton an: Gleich nebenan spricht ein Grazer Ehepaar über das Wetter und dort drüben scherzt eine Wiener Familie über Papas Sonnenbrand. Eine Ecke weiter tauscht ein Pärchen aus Salzburg Kosenamen aus und nebenan wird Tirolerisch gesprochen. Wer zum ersten Mal nach Grado kommt, wird sich vielleicht noch über die vielen österreichischen Urlauber wundern. Wer schon öfter auf der Sonneninsel war, weiß natürlich, warum die Bewohner der Alpenrepublik Grado so sehr lieben. Weil es hier eben schön ist. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Warum ist das eigentlich so?
Vom Fischerdorf zum kaiserlichen Kurort
Die Gradeser wussten es freilich immer schon: Ihre Insel und die Lagune, die Sandstrände mit Lagunenfeeling sind etwas ganz Besonderes. So besonders, dass man Mitte des 19. Jahrhunderts einen Plan ausheckte, auf der Sonneninsel eine Kuranstalt für erholungssuchendes, betuchtes Klientel aus der Stadt zu errichten. Der Plan ging auf und bald schon pilgerten die feinen Herrschaften aus Wien und Graz und anderen Zentren der Monarchie Österreich-Ungarn an die Obere Adria. Dazu muss man wissen: Ziemlich genau hundert Jahre lang war Grado Teil des Kaiserreiches, 1919 wurde die Region im Friedensvertrag von St. German endgültig Italien zugesprochen. Doch diese hundert Jahre unter der Flagge des österreichischen Kaisers haben bis heute seine Spuren hinterlassen und den Tourismus in Grado zu dem gemacht, was er heute ist. Als nämlich Kaiser Franz Josef am 25. Juni 1892 der Insel den Titel eines kaiserlichen Kurbades verlieh, gab es kein Halten mehr: In Scharen strömten die Schönen und Reichen, die Klugen und die Künstler, der Adel und überhaupt alle, die etwas auf sich hielten nach Grado, um die zwischenzeitlich legendär gewordene Wirkung der Sandbäder, der Meeresluft und des einzigartigen Mikroklimas der Insel am eigenen Leibe zu spüren.
Eine Österreicherin macht Furore. Und ein Plakat ebenso.
Die Strahlkraft eines außergewöhnlichen Ehepaares zog Anfang des 20. Jahrhunderts noch mehr Menschen nach Grado. Künstler, Dichter, Denker, kurzum: die geistige Elite des Kaiserreiches folgte dem Ruf von Emma und Josef Maria Auchentaller. Der bekannte Jugendstil-Künstler und seine Frau mischten Grado ordentlich auf. Besonders Emma tat sich hervor: Als Besitzerin des Hotels Fortino, einer Wäscherei und einer kleinen Laguneninsel samt Landwirtschaft stellte sie ihre Geschäftstüchtigkeit unter Beweis. Ihre Tanzveranstaltungen und Kongresse waren Pflichttermine der oberen Zehntausend. Ihr Mann Josef Maria Auchentaller, Mitglieder der Wiener Secession, setzte hingegen seinen Ruf als „anständiger“ Künstler in den Sand. Er hatte inzwischen sein Glück im Gestalten von Werbeplakaten für Grado gefunden. Apropos Plakat: Sein Sujet, das drei Damen mit Hut und weißen Wallekleidern am Strand von Grado zeigt, ist bis heute untrennbar mit dem Flair der Insel verbunden und selbst über hundert Jahre nach seiner Entstehung maßgeblich an der Anziehungskraft der Sonneninsel beteiligt.
Kindheitserinnerungen und die Sehnsucht nach mehr Meer.
Das österreichische Kaiserreich ist natürlich Geschichte. Aber längst nicht vergessen. Wer genau schaut, entdeckt beim Spaziergang durch Grado immer wieder die Spuren dieser Zeit und ihrer Menschen. Jetzt bleibt nur noch die Frage: Warum kommen die Österreicherinnen und Österreicher immer noch so gerne und zahlreich nach Grado? Fast scheint es so, als würde die Sehnsucht nach diesem Ort in der DNA stecken und Generation für Generation weitergegeben werden. In dieser Fantasie steckt ein bisschen Wahrheit. Als in den Wirtschaftswunderjahren das Reisen auch für Arbeiterfamilien erschwinglich wurde, lag kaum etwas näher, als nach Grado zu kommen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Grado ist – neben Lignano – der von Österreich aus nächstgelegene Badeort an der Adria. Und weil es eben in der Natur von uns Menschen liegt, in der Wiederholung sein Glück zu suchen, urlaubt heute schon die dritte, vierte und sogar fünfte Generation in Folge auf der Sonneninsel. Es ist wohl die Sehnsucht nach dem Freiheitsgefühl der eigenen Kindertage am Meer, das nostalgische Erinnern an eine Zeit, in der das Leben so leicht und luftig war, immer verbunden mit dem Sehnen, ein kleines Stück dieses vergangenen Glückes im hier und heute zu erhaschen. Und wenn wir so in die Gesichter unser (österreichischen) Gäste blicken, scheint das in Grado ziemlich gut zu gelingen. Eines noch, und wir hoffen unsere österreichischen Freunde verstehen diese Zeilen mit einem Augenzwinkern: Manchmal spüren wir bei euch so etwas wie Bedauern, dass Österreich Grado und somit sein eigenes Meer verloren hat. Doch keine Sorge, ihr seid hier immer von Herzen willkommen. Denn Grado wäre ohne euch Österreicher nicht das, was es heute ist.